Hintergründe zum gemeinschaftlichen Wohnen – fünfter und letzter Teil

Nicht nur der Ort oder der Raum, sondern insbesondere die Tätigkeit beeinflusst massgeblich den Öffentlichkeitsgrad eines gemeinschaftlichen Raums. Im Bild sichtbar einen hoch öffentlichen Raum, der durch die Begrenzung der Mauer und der Versunkenheit ins Schachspiel sehr privat wirkt. Quelle: unbekannt.

Gastbeiträge zur Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnen
Susanne Schmid ist Partnerin bei Bürgi Schärer Architekten in Bern, sowie Autorin und Mitherausgeberin der Publikation «Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens». Sie hat für uns einen Abriss dieser Geschichte in fünf Beiträgen mit ausgewählten Beispielen geschrieben:

Teil 1 Historische Einordnung: Wie kollektive Wohnformen mit der industriellen Revolution zur Ausnahme wurden
Teil 2 Ökonomische Intentionen: Frauenwohnkolonien und Einküchenhäuser
Teil 3 Politische Intentionen: Architekten planen Gemeinschaft
Teil 4 Soziale Intentionen: Selbstorganisiertes Wohnen für neue Lebensformen
Teil 5 Ausblick: Warmbächli und andere neue Projekte

Danke vielmals Susanne für deine Inputs und deine Forschung zum Thema!

Nutzungsüberlagerung und Mehrfachnutzungen als suffiziente Lösung

Sämtliche Wohnmodelle des gemeinschaftlichen Wohnens, die in den vorherigen Blogbeiträgen vorgestellt wurden, arbeiten mit Verlagerung von Flächen. So werden Flächen aus dem privaten Bereich in den kollektiven oder öffentlichen Bereich verschoben und dort geteilt und gemeinschaftlich genutzt. Dabei spielen die Abgrenzungen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichem, respektive die Öffentlichkeitsgrade eine wichtige Rolle. Wobei gemeinschaftliche Räume nicht per se öffentlich sind, denn diese können durchaus auch einen privaten Charakter haben. So ist es zumeist die Tätigkeit, die ausgeübt wird, die dem Raum seinen Öffentlichkeitscharakter zuordnet (Arendt 1981: 59). Eine kollektive und durch eine Mehrfachnutzung erhöhte Nutzung eines Gästezimmers beispielsweise führt nicht dazu, dass dieses einen öffentlichen Charakter erhält, da die Tätigkeit, die darin ausgeübt wird, eine gänzlich individuelle und private bleibt. Das bedeutet, dass der gemeinschaftliche Raum an und für sich neutral ist und erst die Aktivität, die in diesen Räumen stattfindet, dessen Zuordnung betreffend Öffentlichkeitsgrade bestimmen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Prinzip der Nutzungsüberlagerung. So kann ein Jokerzimmer unter anderem als Yoga-Übungsraum, für einen Lesezirkel oder als Spielzimmer für Kinder genutzt werden. Wie bei der Mehrfachnutzung ist auch bei der Nutzungsüberlagerung eine zeitlich begrenzte Nutzung sowie ein angemessener Zugang im Sinne von Verfügbarkeit relevant. Diese Art und Weise, Wohnräume zu teilen, schafft neben dem (reduzierten) privaten Wohnraum zusätzliche Nutzungsoptionen, die als räumliche Erweiterung verstanden werden können. Gut funktionierende Nutzungsoptionen führen zu Möglichkeitsräumen und bedeuten nicht nur, dass eine gewisse Anzahl und Bandbreite gemeinschaftlich genutzter Wohnräume vorhanden sind, sondern ebenso eine bestimmte Anzahl an Personen, die sich diese Wohnräume aneignen, bespielen und schlussendlich auch finanzieren. Dieses System an gemeinschaftlichen Räumen in unterschiedlichen Funktionen und Ausstattungen sowie diversen Nutzerinnen und Nutzer sorgt idealerweise für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aneignung und Auslastung sowie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.

Herausforderungen im Wohnungsmarkt

Bewohnerschaft der Sargfabrik Wien um 1996 – so divers wie die gemeinschaftlichen Räume. Quelle: Europa, Gemeinsam Wohnen, wohnbund e. V. (Hg.).

Der demografische Wandel, sich verändernde Familienstrukturen sowie eine erhöhte Individualisierung und Mobilität sorgten in den letzten Jahrzehnten dafür, dass wir häufiger an verschiedenen Lebens- und Wohnformen partizipieren und sogenannte Wohnkarrieren durchleben. Im trägen und konservativ ausgerichteten Wohnungsmarkt werden jedoch immer noch praktisch ausschliesslich Familienwohnungen angeboten. Es fehlen neuartige Wohntypologien, die auf die gesellschaftlichen Veränderungen und auf den Wunsch nach mehr Gemeinschaft und Selbstbestimmung eingehen. Die gemeinschaftlichen Wohnprojekte versuchen denn auch, diese Lücke zu schliessen und schaffen mit neuen Grundrisslösungen und Organisationsstrukturen ein Neu-, respektive Weiterdenken des Zusammenlebens, der gängigen Wohnfunktionen und der Verbindung zwischen Wohnen und Arbeiten. Diese Angebote stehen für einen Zeitgeist, in dem postmaterielle Ziele wie Selbstverwirklichung, digitale Kommunikation sowie der erleichterte Zugang und die Verfügbarkeit analoger Güter anstatt deren Besitz im Vordergrund stehen. Nutzen ist wichtiger ist als Besitzen. Der private Raum ist oft nur noch Rückzugsort, als repräsentativer Ort verliert er zunehmend an Priorität. Als Gegensatz dazu wird die Gemeinschaft, respektive das Dazugehören zu einer Gemeinschaft, wichtig.

Bewohnerschaft von happypigeons, einem Co-Living Projekt in Berlin. Das Dazugehören zur Community ist genauso wichtig wie der private Wohnraum. Quelle: Instagram.

Das Bewusstsein für Themen wie Ökologie und Nachhaltigkeit verstärkten zudem die Diskussionen über den Wohnflächenverbrauch und haben Einfluss auf die Modelle des gemeinschaftlichen Wohnens. Hinzu kommt, dass sich durch die New Right eine Deregulierung und Privatisierung des Marktes einstellte, die insbesondere auf den städtischen Wohnungsmarkt in Mitteleuropa weitreichende Folgen hatten. Der Staat zog sich immer mehr aus dem Wohnungsmarkt zurück, während Baugenossenschaften oder weitere gemeinnützige Bauträger in das Vakuum traten und sich mit Wohnprojekten für mehr Solidarität und Gemeinschaftlichkeit einsetzten. In diesem angespannten Marktumfeld verstärkte sich zunehmend die Forderung der gemeinnützigen Bauträger, Wohnraum dauerhaft dem Markt und somit den Spekulationen zu entziehen. Sprich, die sozialen Intentionen des Teilens von Wohnraum werden zu Beginn des 21. Jahrhundert zusätzlich durch moralische und ökologische Ansprüche verstärkt.

Schon bei den Boarding- und Apartementhäuser der frühen 1920er und 1930er Jahren galt das Rationalisieren als wichtiges Entwurfsthema. In dieser Phase war dieser Anspruch jedoch nicht ökologisch, sondern ökonomisch begründet. Hier die Bewohnerschaft des Isokon Buildings in London. Quelle: Architektur zwischen Kunst und Wissenschaft, Jeanette Fabian und Ulrich Widko (Hrsg.).

Gemeinschaftliches Wohnen als eine mögliche Antwort

Nicht nur an der Güterstrasse 8 werden die hier erwähnten Themen neu verhandelt und räumlich umgesetzt. So werden insbesondere in deutschsprachigen Städten Wohnobjekt mit innovativen Raumprogrammen und gemeinschaftlichen Wohnräumen, die weit über die bekannten und üblichen Gemeinschaftsräumen hinausgehen und ein neues räumliches und soziales Zusammenwohnen denken, ins bestehende städtische Leben integriert. Wie beim Warmbächli werden oft ganze Stadtquartiere erneuert, in denen das gemeinschaftliche Wohnen in unterschiedlichen Formen eingeflochten und eingestreut wird. So werden neben einen Prozentsatz an Familienwohnungen auch Kleinwohnungen für Personen in der Vor- oder Nachfamilienphase angeboten, Clusterwohnungen oder Grosshaushalte mit flexiblen Grundrissen, Jokerzimmer oder sogenannte Weisse Zimmer als Ergänzung zum reduzierten Privatraum sowie geförderte Wohnungen für finanzschwache Haushalte. Ziel dabei ist es, und dies ist eher ein neues Phänomen des gemeinschaftlichen Wohnens, eine möglichst grosse und vielfältige Bandbreite von Bewohnerinnen und Bewohner anzuziehen, die im Sinne eines Generationenwohnen die Infrastruktur reichhaltig nutzen, sich gegenseitig unterstützen und so die Gemeinschaft langfristig stärken.

Ein Teil der zukünftigen Warmbächli-Bewohnerschaft beim Spatenstichfest.
Foto: Daniel Kaufmann

Wohnen und Gemeinschaft sind eng miteinander verbunden. Doch erst seit sich mit der Industrialisierung jahrhundertealte Organisationsstrukturen des Wohnens und Wirtschaftens auflösten, erhält das gemeinschaftliche Wohnen eine neue Bedeutung, die zu erklären ist. Dabei sind die Gründe, Wohnraum zu teilen, ebenso kulturell geprägt wie der Wunsch nach dem konventionellen Wohnen. Im Vergleich zum herkömmlichen Wohnen wird gemeinschaftliches Wohnen jedoch oft bewusster gewählt. Kollektive Wohnmodelle beinhalten deshalb meist eine Kritik an den vorherrschenden konservativen Bildern des Zusammenlebens und lassen gesellschaftliche Prozesse erkennen, die sich räumlich ausformulieren und Entwicklungen bezüglich Lebens- und Haushaltsweisen in gebauter Form sichtbar machen. Der bewusst gefällte Entscheid, gemeinschaftlicher zu Wohnen sowie die daraus resultierenden kollektiven Wohnmodelle können somit als Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen gesehen werden. So nimmt das gemeinschaftliche Wohnen in der gesamten Wohnbaugeschichte eine bedeutende Rolle im Sinne einer Reflexion ein.

An dieser Stelle bedanke ich mich für die Möglichkeit der Gastbeiträge in diesem Baublog. Ich wünsche allen Projektbeteiligten und vor allem der zukünftigen Bewohnerschaft gutes Gelingen und einen lebendigen Kosmos an der Güterstrasse 8.

Literatur

Arendt, Hanna 1981: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper.

Hintergründe zum gemeinschaftlichen Wohnen – Teil 4

Mit der sozialen Intention wird das gemeinschaftliche Wohnen kommunikativer, vernetzter und vielfältiger, hier sichtbar am Beispiel des Kollektivhauses Färdknäppen in Stockholm.
Quelle: Kerstin Kärnekull.

Gastbeiträge zur Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnen
Susanne Schmid ist Partnerin bei Bürgi Schärer Architekten in Bern, sowie Autorin und Mitherausgeberin der Publikation «Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens». Sie hat für uns einen Abriss dieser Geschichte in fünf Beiträgen mit ausgewählten Beispielen geschrieben:

Teil 1 Historische Einordnung: Wie kollektive Wohnformen mit der industriellen Revolution zur Ausnahme wurden
Teil 2 Ökonomische Intentionen: Frauenwohnkolonien und Einküchenhäuser
Teil 3 Politische Intentionen: Architekten planen Gemeinschaft
Teil 4 Soziale Intentionen: Selbstorganisiertes Wohnen für neue Lebensformen
Teil 5 Ausblick: Warmbächli und andere neue Projekte

Danke vielmals Susanne für deine Inputs und deine Forschung zum Thema!

Gemeinschaftliches Wohnen wird zum Ausdruck von sich veränderten Sozialbeziehungen

Ab den 1970er-Jahren wird erstmals Kommunikation, also ein soziales Motiv des Teilens, als Bedürfnis beim gemeinschaftlichen Wohnen genannt (Meyer-Ehlers, Haussknecht, Rughöft 1973: 230). So trat der deutliche Wunsch nach Gemeinschaftlichkeit erst mit der vorerst letzten Phase der sozialen Intention in den Vordergrund, die mit neuen Wohnmodellen um rund 1980 startete und bis heute anhält. Gemeinschaftliches Wohnen wird in dieser sich weiterhin diversifizierenden Entwicklungsphase kommunikativer, vernetzter und vielfältiger. Nicht nur die Nutzergruppen des gemeinschaftlichen Wohnens werden bunter, sondern auch die angebotenen gemeinschaftlichen Wohnräume und Ausstattungen. Dabei können die gemeinschaftlichen Wohnmodelle wie folgt gegliedert werden: Wohn- und Kulturprojekte als Ausdruck der Gemeinschaft, Grosshaushalte und Clusterwohnungen mit zusätzlichen Serviceleistungen sowie Co-Living als vernetztes und dezentrales Wohnen.

Teilhabe und Teilnahme als Programm


Blick in den gemeinschaftlichen Esssaal des Grosshaushaltes Karthago in Zürich.
Quelle: Arazebra, Zürich.

Mit der sozialen Intention wurde nun gemeinschaftliches Wohnen erstmals zum Ausdrucksmittel für flexible Sozialbeziehungen und mehr Mitbestimmung. Die Wohnobjekte sind meist selbstorganisiert, die Bewohnerschaft nimmt Einfluss auf die Ausformulierung der Wohnform und -typologie. Zudem kam ab den 1970er- und 1980er-Jahren das Bedürfnis auf, aus der familiären Isolation auszubrechen, was zu veränderten und diversifizierenden Lebens- und Wohnformen führte. Weitere Parameter, die das Wohnen in Gemeinschaft stärken, waren der Wunsch nach Suffizienz und einem bedarfsgerechten Umgang mit der Ressource Wohnraum sowie neue Arbeitsweisen dank der Digitalisierung. Geteilt werden nun nicht nur ein breites Angebot an gemeinschaftlichen Räumen für die Freizeitbeschäftigung wie Werkstätte, Saunas oder Fotolabore, sondern wiederum Grundausstattungen wie Gemeinschaftsküchen und Nasszellen. Gästezimmer, Flex-Zimmer oder Waschbars sind prägend für diese Entwicklungsphase. Zudem erhalten die Serviceleistungen, nachdem diese in der Phase der politischen Intention gänzlich verschwanden, aufs Neue eine hohe Wichtigkeit.

Diese Komplexität an unterschiedlichen Stufen des Teilens führt denn auch dazu, dass das gemeinschaftliche Zusammenleben oft mittels einer professionellen Betriebsstruktur und mit Hilfe einer Desk oder Rezeption kuratiert wird. Partizipative Prozesse der Teilhabe und Teilnahme sorgen zudem dafür, dass die Wohnmodelle und deren Organisation auf die Bedürfnisse der Nutzerschaft angepasst werden. Zu erwähnen gilt noch, dass die Nutzergruppen vorwiegend aus dem Bildungsmilieu stammen. Da sich insbesondere Grosshaushalte und Clusterwohnungen gut in grössere Siedlungen einstreuen lassen, eignet sich zudem ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Wohnmodellen, kombiniert mit konventionellen Wohnungen, auch gut als Generationenwohnen.

Grosshaushalte – der erkämpfte Freiraum

Grosshaushalt mit Kleinküche und gemeinschaftlichem Aufenthaltsbereich.
Quelle: gta Archiv / ETH Zürich.

Mit den Grosshaushalten werden erstmals seit den Zwischenkriegsjahren wieder Wohnungen ohne individuell nutzbare Küchen gebaut. Kurz vor der Jahrtausendwende erscheint ein gemeinschaftliches Wohnmodell, das den privaten Raum wieder stark reduziert und die Grundausstattung kollektiviert. Beim Prinzip der Grosshaushalte werden dabei Funktionen wie Kochen, Essen und Aufenthalt in gemeinschaftlichen Räumen mit unterschiedlichen Öffentlichkeitsgraden ausgelagert.

Aus einer Jugendbewegung der 1980er-Jahre heraus, die mehr bezahlbaren Wohnraum sowie Freiraum für junge Personen forderte, entwickelte sich in Zürich der Grosshaushalt Karthago, der nach einer langen Entwicklungsphase 1997 realisiert wurde. Als Bauträgerin dient eine Genossenschaft. Im Grosshaushalt Karthago werden vier kleine und fünf grosse Wohngruppen sowie eine Mansardenwohnung angeboten, in denen rund 55 Personen wohnen. Die Wohngruppen sind unterteilt in Drei-, Vier- oder Sechszimmereinheiten, die sich um einen gemeinschaftlichen Wohn- und Essraum mit Kleinküche und gemeinschaftlicher Nasszelle formieren. Einzig das individuelle Zimmer wird nicht geteilt, ist jedoch durch die kollektive Fläche erschlossen. Ausserhalb dieser Wohngruppe befinden sich weitere ergänzende Ausstattungen und gemeinschaftliche Wohnräume wie eine Grossküche mit Essraum (gekocht wird von einer Köchin), einem Spiel- und Aufenthaltsraum, einem Gästezimmer, einem Werkraum, einem Gemeinschaftsbüro sowie zwei Musikräumen.

Das Erdgeschoss ist gänzlich gemeinschaftlich organisiert. In den Regelschossen werden je zwei Grosshaushalte angeboten, mit unterschiedlich grossen individuellen Zimmern.
Quelle: Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens.

Clusterwohnungen – die Wohngemeinschaft plus

Ein Optionsraum bei der Siedlung Spreefeld in Berlin.
Quelle: Andrea Kroth.

Erste Clusterwohnungen haben ihren Ursprung ebenfalls in den 1980er-Jahren, die Typologie wird jedoch erst ab den 2010er-Jahren wahrgenommen. Ähnlich der Grosshaushalte ist auch bei den Clusterwohnungen prägendes Element die Reduktion des privaten Wohnraums einhergehend mit einer Kompensation durch gemeinschaftliche Räume. Bei Clusterwohnungen bilden Teil-Wohneinheiten zusammen mit den gemeinschaftlichen Räumen wie Gemeinschaftsküche oder Aufenthaltsbereiche eine voll ausgestattete Einheit. Typologisch gesehen haben die Cluster eine hotelähnliche Struktur, da diese mit einer Vorzone oft mit Kleinküche und individueller Nasszelle ausgestattet sind. Mit dieser Vorzone wird zugleich ein Schwellenraum geschaffen, der zwischen den kollektiven und privaten Flächen vermittelt.

Wohnbereich einer Clusterwohnung.
Quelle: Andrea Kroth.

Während das Konzept der Clusterwohnungen auch als komfortable Wohngemeinschaft deklariert werden kann, sprechen die Initiatoren der Siedlung Spreefeld in Berlin von einem spartanischen Ausstattungsstandard. Das ebenfalls genossenschaftlich organisierte Spreefeld bietet seit dem Jahr 2014 für rund 140 Personen variantenreiche Wohnräume. Dabei ist rund die Hälfte der Wohnungen konventionelle Ein- bis Fünfzimmerwohnungen. Auffallend sind jedoch die Clusterwohnungen, die in diesem Objekt grösser ausfallen als bei Projekten in der Schweiz. Dies aufgrund der Anzahl Cluster sowie deren Fläche, die jeweils an die gemeinschaftlichen Räume angegliedert sind. Während bei uns meist sechs oder sieben Cluster um die gemeinschaftlichen Flächen angeordnet werden, sind es bei der Siedlung Spreefeld deren neun. Zudem verlaufen die Clusterwohnungen jeweils über zwei Geschosse. Ebenfalls neu ist bei der Siedlung Spreefeld, dass Clusterwohnungen mit drei oder vier Zimmer angeboten werden, üblich sind jeweils ein oder zwei Zimmer pro Cluster.

Als Ergänzung für die gesamte Siedlung dienen gemeinschaftliche Räume wie Co-Working Spaces, Gästezimmer, ein Musik- und Jugendraum, ein Fitnessraum, eine Waschküche sowie Dachterrasse oder die sogenannten Optionsräume, die nicht nur der Bewohnerschaft, sondern der gesamten Quartierbevölkerung für diverse temporäre Nutzungen zur Verfügung stehen (LaFond/Tsvetkova 2017: 38).

1. Obergeschoss der Siedlung Spreefeld
2. Obergeschoss der Siedlung Spreefeld: Hier wird ersichtlich, wie sich die Clusterwohnungen über zwei Geschosse formulieren.
Quelle: Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens.

Co-Living – die kreativen Knotenpunkte

Co-Working Bereich beim Co-Living Old Oak in London, der öffentlich zugänglich ist.
Quelle: The Collective.

Schon Grosshaushalte und Clusterwohnungen zeigen erste Ansätze zu einem räumlich verteilten Wohnen, bei dem der individuelle Raum durch Nutzungsoptionen und mögliche Serviceleistungen vielfältig und flexibel ergänzt wird. Beim Co-Living verteilen sich gemeinschaftliche Wohnräume und Funktionen nun weiter, zudem wird das Wohnen wiederum in Verflechtung mit Arbeiten wahrgenommen. Dieses erweiterte Verständnis des Wohnens lässt vermuten, dass die Bewohnerschaft heterogener wird. Erste realisierte Projekte ab den 2010er-Jahren deuten allerdings auf eine sehr homogene Nutzerschaft hin, besonders junge Berufstätige, sogenannte Yuppies (young urban professionals) finden dieses Wohnmodell attraktiv und nutzen es, um sich in einer Stadt anzusiedeln und dort in der Gemeinschaft zu leben.

Private Wohneinheit mit Kleinküche.
Quelle: The Collective.

Typologisch ist das Co-Living den Clusterwohnungen ähnlich, da wiederum hotelähnliche und reduzierte Wohneinheiten den privaten Wohnbereich bilden. Ebenso ist eine Rückbesinnung auf die Boarding- und Apartmenthäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert spürbar, denn die gemeinschaftlichen Räume werden zu vernetzten Knotenpunkte, in denen die oft international ausgerichtete Bewohnerschaft die Balance zwischen dem reduzierten privaten Raum und den umfangreichen angebotenen Serviceleistungen findet.

Mit dem Co-Living Old Oak realisierte die Organisation The Collective im Jahr 2016 ihr erstes Wohnbauprojekt in London. Bisher betrieb die Organisation ausschliesslich Co-Working Places, weitere Projekte in Verbindung mit Co-Living sind jedoch in Planung. Das Co-Living Old Oak wurde als eines der wenigen Co-Living Projekte als Neubau konzipiert und stellt Wohnfläche für rund 550 Personen zur Verfügung. Es werden unterschiedliche individuelle Wohneinheiten angeboten, wobei die meisten zu der kollektiven Erschliessungsfläche hin eine vorgelagerte Zwischenzone mit Nasszelle und Kleinküche aufweisen. Die private Wohnfläche wird möbliert vermietet.

Beim Regelschoss im Old Oak wird die hotelähnliche Typologie sichtbar.
Quelle: Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens.
Das Erdgeschoss beim Old Oak ist wiederum gemeinschaftlich organisiert, im Vergleich zum Grosshaushalt Karthago jedoch öffentlich zugänglich.
Quelle: Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens.

Es gibt umfangreiche ergänzende gemeinschaftliche Flächen wie Gemeinschaftsküchen mit Ess- und Aufenthaltsbereichen auf jedem Geschoss, die bei Bedarf für private Anlässe genutzt werden können. Im Weiteren finden sich verteilt über die Geschosse eine Bibliothek, einen Raum der Stille, ein Kino, ein Game Room, ein Spa und eine Waschküche. Im Erdgeschoss als öffentlichster Bereich werden ein Restaurant, einen Eventraum, ein Fitnessstudio sowie die Co-Working Places angeboten.

Literatur

LaFond, Michael; Tsvetkova, Larisa 2017: CoHousing Inclusive, Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für alle. Berlin: Jovis Verlag.
Meyer-Ehlers, Grete; Haussknecht, Meinhold; Rughöft Sigrid 1973: Kollektive Wohnformen, Erfahrungen, Vorstellungen, Raumbedürfnisse in Wohngemeinschaften, Wohngruppen und Wohnverbänden. Wiesbaden: Bauverlag.